A. Dubler: Staatswerdung und Verwaltung

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Titel
Staatswerdung und Verwaltung nach dem Muster von Bern. Wie der Staat vom Mittelalter an entstand und sein Territorium verwaltete – und wie die Bevölkerung damit lebte


Autor(en)
Dubler, Annemarie
Reihe
Archiv des Historischen Vereins der Kantons Bern 90
Erschienen
Baden 2013: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
374 S.
Preis
URL
von
Regula Wyss, Abteilung WSU, Projekt Nützliche Wissenschaft, Universität Bern, Historisches Institut

Der vorliegende Band fasst mehrere Artikel aus der umfangreichen Forschungstätigkeit von Anne-Marie Dubler zusammen. Im Fokus steht die Entstehung der Staatlichkeit und Verwaltung in Bern und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände der Bevölkerung. Dabei konzentriert sich die Autorin auf das Gebiet Oberaargau – Emmental – Region Thun.

Die für diesen Band der Archivreihe ausgewählten Artikel sind in den letzten 25 Jahren entstanden und wurden von der Autorin im Hinblick auf diese Publikation überarbeitet und auf den aktuellen Forschungsstand gebracht. Die ersten beiden Artikel widmen sich den Landgrafschaften sowie den Adels- und Stadtherrschaften des ausgehenden Mittelalters zwischen Hohgant und Burgdorf. Dabei rekonstruiert die Autorin akribisch die Grenzverläufe der mittelalterlichen Herrschaftsgebiete. Sie zeigt auf, wie sich der Herrschaftsanspruch der Rechteinhaber, insbesondere der Stadt Bern, allmählich von der Orientierung am Personenverband hin zu territorial klar abgegrenzten, abgerundeten Gebieten verändert.

Die folgenden drei Artikel nehmen die Konkurrenzsituation zwischen den Landstädten Burgdorf und Thun und den Herrschaftsansprüchen der Berner Obrigkeit sowie die Ausweitung der Berner Herrschaft im Oberaargau vom Spätmittelalter bis zum Ende des Ancien Régime in den Blick. Die Stadt Bern hatte 1384 sowohl Burgdorf als auch Thun dem verarmten Grafenhaus Kyburg abgekauft. Damit war allerdings noch keinesfalls eine Herrschaftsintensivierung Berns verbunden. Wie die Kyburger kämpften in jener Zeit auch andere Feudalgewalten mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sahen sich gezwungen, Grundbesitz oder Herrschaftsrechte an aufstrebende Städte zu verkaufen. In den folgenden Jahrzehnten kaufte auch die Kleinstadt Burgdorf Niedergerichte in der Umgebung und baute so eine eigene Stadtherrschaft auf. Nach dem Twingherrenstreit 1471 und der Reformation wurde es für Burgdorf, wie auch für geistliche Herrschaftsherren im Oberaargau, immer schwieriger, ihre Rechte gegenüber den Ansprüchen Berns zu behaupten. In Thun ging Bern wesentlich systematischer vor als in Burgdorf. In einem Ratsentscheid von 1471 hielt Bern die Hoheitsansprüche der Stadt Thun schriftlich fest. Die Hoch- und Blutsgerichtsbarkeit behielt die Stadt Bern sich selbst vor. Die Niedergerichtsbarkeit mit der Ziviljustiz teilte sie sich mit der Stadt Thun.

Nach diesem ersten verwaltungsgeschichtlichen Teil wendet sich die Autorin stärker den Menschen und ihren Lebensumständen in der gleichen Region zu. Es folgen Artikel zum Schleiss – einer Form der Leibrente –, zu den Hintersässen, den Schachenleuten im Emmental und den Freiweibeln im Oberaargau. Ausgehend von den rechtlichen Rahmenbedingungen stellt die Autorin mit dem Schleiss eine Form der frühneuzeitlichen Altersversorgung dar. Der Schleissvertrag regelte im Emmentaler Landrecht Wohnrecht und Nahrung für die Witwe nach dem Tod ihres Mannes oder im Falle einer frühzeitigen Hofübergabe für beide Elternteile.

Im Artikel zu den Hintersässen macht die Autorin deutlich, dass der Status der Hintersässen nicht mit Armut gleichzusetzen ist. Die Ausführungen über die Bewohner der Emmentaler Schachen hingegen zeigen, dass ein Umzug in eine Schachensiedlung in der Regel mit einem sozialen Abstieg verbunden war, unabhängig vom Status «Burger» oder «Hintersässe».

Anne-Marie Dubler zählt zweifellos zu den profundesten Kennerinnen rechts- und verwaltungsgeschichtlicher Quellen aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit im Raum Bern – Aargau. Mit fundiertem Wissen zeichnet sie anhand von Rechts- und Verwaltungsquellen aus der östlichen Berner Landschaft einerseits die Entwicklung der bernischen Staatlichkeit und der Territorialverwaltung im Ancien Régime nach und beschreibt andererseits die Lebensumstände der «einfachen Leute» im Emmental. Mit den vielen Kartendarstellungen der Landgerichte und Herrschaftsgebiete im Spätmittelalter hat die Autorin sehr hilfreiche Grundlagenarbeit für weitere Forschungen geschaffen.

Schade ist nur, dass durch die Aneinanderreihung von bereits bestehenden Aufsätzen im Aufbau und in der Gliederung des Buches viel Stringenz und überzeugende Argumentation verloren geht. So befindet sich zum Beispiel ein Kapitel mit dem Titel «Was verstehen wir unter Herrschaft, Adelsherrschaft und Landesverwaltung?» mit grundsätzlichen Informationen über die komplexen rechtlichen Strukturen im Spätmittelalter und im Ancien Régime erst im zweiten Drittel des Buches. (S. 133 – 136) Die Beschreibungen der Grenzverläufe im ersten Teil sind naturgemäss etwas trocken ausgefallen. Die Schilderungen im zweiten Teil bieten dafür einen sehr anschaulichen Einblick in die Lebensumstände der Menschen in jener Zeit. Insbesondere damit leistet der vorliegende Archivband einen wichtigen Beitrag zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte auch über Bern hinaus.

Zitierweise:
Regula Wyss: Rezension zu: Dubler, Annemarie: Staatswerdung und Verwaltung nach dem Muster von Bern. Wie der Staat vom Mittelalter an entstand und sein Territorium verwaltete – und wie die Bevölkerung damit lebte. Baden: hier + jetzt 2013. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 76 Nr. 2, 2014, S. 64-65.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 76 Nr. 2, 2014, S. 64-65.

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